Verlängert bis Ende März 2023




Von der Freundschafts-Trasse zum Problemfall

Bilder eines Abenteuers

Als vor 47 Jahren Tausende junge Leute aus der DDR in die damalige Sowjet-Ukraine fuhren, um an einer 2743 Kilometer messenden Erdgasleitung vom Südural bis in die Karpaten zu bauen, war dies Teil eines großen West-Ost-Geschäftes. Aber es war durchaus auch ein völkerverbindendes Element zur Überwindung des Kalten Krieges. Damals wollten sowohl die Bundesrepublik und Westeuropa von den arabischen Öl-Staaten unabhängiger werden. Die bestimmten damals die Preise für Energie. Extrem wurde die in der Folge des arabisch-israelischen Yom-Kippur-Krieges ausgelöste Ölkrise. Am 25. Oktober 1973 drehten die arabischen Erdölexporteure den Hahn zu. Damals schlossen in der Bundesrepublik die Hallenbäder, wurden Schulferien verlängert, kam es zur Kurzarbeit bei den Autobauern. Und am 24. November 1973 appellierte Bundeskanzler Willy Brandt: „Zum ersten Mal seit dem Ende des Krieges wird sich morgen und an den folgenden vier Sonntagen vor Weihnachten unser Land in eine Fußgängerzone verwandeln. Die Energiekrise kann auch zu einer Chance werden. Wir lernen in diesen Wochen, dass wir auf gegenseitige Hilfe angewiesen sind.“
Auch die Autoindustrie zog daraus Schlussfolgerungen: Es wurden künftig sparsame Motoren entwickelt. Am schnellsten aber kam die Erfindung des abschließbaren Tankdeckels.

Nun wurden bereits zuvor begonnene Gespräche der Bundesrepublik mit den sowjetischen Wirtschaftsführern in die Tat umgesetzt. Ab 1975 begann der Bau der ersten internationalen Erdgas-Fernleitung mit einem 1,42 Meter großem Rohrdurchschnitt von den sowjetischen Gaslagern nach Westeuropa. Die einseitige Abhängigkeit von den OPEC-Staaten sollte damit durchbrochen werden. Das Geschäft Erdgas gegen Stahlrohre, finanziert mit Krediten großer Banken konnte beginnen. Für die Sowjetunion erschloss sich eine Jahrzehnte sprudelnde Quelle an harten Devisen. Für die Staaten des östlichen Wirtschaftsgebietes fiel ebenfalls Gas ab.
Den von der SED-Propaganda als Revolutionäre im Blauhemd gefeierten Trassenbauern der DDR waren diese Zusammenhänge kaum bekannt. Für sie, die bislang höchstens mal an die polnische Ostseeküste, an den Balaton oder nach Hiddensee trampen konnten, eröffnete sich mit der Aussicht auf einen gut bezahlten Job fern der Heimat eine Art Wild-Ost-Abenteuer.

Das Abenteuer Drushba-Trasse endete 1979 und erwies sich für die DDR als ein recht teures. Trotzdem ging es ab 1982 wieder für Zehntausende von DDR-Fachleuten ins Land des „großen Bruders“. Die DDR geriet langsam in die Mühlen des großen West-Ost-Deals. Zwischen 1973 und 1993 – also noch nach dem Ende der DDR – entstanden insgesamt vier Ferngasleitungen nach Europa. Allein die DDR-Trassenbauer verlegten 1750 Kilometer Rohr. Hinzu kamen Bauleistungen für 19 Verdichterstationen, 4500 Wohnungen, Dutzende Schulen, Kindergärten, Supermärkte, Sanatorien, Straßen und andere Infrastrukturmaßnahmen. Etwa sieben Milliarden – so rechnete später das Bonner Wirtschaftsministerium aus – steckte die DDR in dieses Jahrhundertwerk.
Wahrscheinlich hätte man das Gas viel billiger einkaufen können. Indes gab es für die im sozialistischen RGW eingebundene DDR keine andere Alternative. Letztlich profitierte das nun vereinte Deutschland, in erster Linie die Energieunternehmen, von Honeckers Jahrhundertbau.
Aber gleichzeitig wuchs Deutschlands Abhängigkeit vom russischen Erdgas. Vor allem durch die Osteepipeline Nordstream 1. 2007 bezog die Bundesrepublik 43 Prozent ihres Erdgases aus Russland.  2020 waren es mehr als 55 Prozent.
Dass Energie und damit auch Erdgas als politische Waffe eingesetzt werden kann, ist spätestens seit dem Angriffskrieg Russlands auf die Ukraine klar. Er begann pünktlich mit der technischen Fertigstellung von Nordstream 2. Die vier Stränge der beiden Ostseepipelines hätten den gesamten russischen Erdgasexport nach Westen übernehmen können. Symbolisch und Ironie des Schicksals, dass ausgerechnet die Leitung Sojus, an der die DDR mit der Drushba-Trasse beteiligt war, das erste Opfer wurde. Nachdem in der Region Luhansk eine der ukrainischen Verdichterstationen mit der Einnahme durch russische Truppen abgeschaltet wurde, ist diese Leitung gekappt.
Aus Sojus, was übersetzt Einheit bedeutet, wurde Trennung. Und von Drushba-Freundschaft war keine Rede mehr.

Hajo Obuchoff